Schi

Scheiblehnkogel, 3.055 mtr

Untertitel auf Tirolerisch: auffi mit die Lattln – zrugg: gflogn

 

Lange schon reifte der Wunsch, durch das Windachtal nach Sölden hinaus zu fahren. Dem Voran, sollte eine (Schi-)Tour im Bereich der Siegerlandhütte gehen.

Es bot sich die sehr attraktive Sonklarspitze an, aber auch der noch nicht erklommene Gipfel des Scheiblehnkogel. Der eine (Sonklarspitze) lockte mit einer

(noch nicht befahrenen) Abfahrt zur Siegerlandhütte, der andere stand überhaupt noch nicht im Tourenbüchlein.

Wir (Richard und ich), brachen um 7:08 in Innsbruck mit dem Schibus zum Stubaier Gletscher auf. Nach fast 1,5 h und der Durchfahrt durch jedes Dorf im Stubaital,

kamen wir bei der Mutterbergalm an. Mit uns im Bus ganze drei weitere Schiwütige. In einer der riesigen 3S Gondeln nahmen nur wir zwei Platz und schwebten

hinauf zum Eisgrat.

Die erste Abfahrt des Tages führte uns zum Sessellift “Pfaffengrat”. Oben angekommen, freuten wir uns über das gute Wetter und fachsimpelten

über umgebende Gipfel und Routenverlauf.

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Das nächste Stückchen Schifahren führte uns zum Anfellplatz fürs Zuckerhütl. Umrüsten war rasch geschehen, ebenso

die 250 Höhenmeter hinauf zum Gamsplatzl.

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Von dort bestaunten wir die schöne Aufstiegsflanke zur Sonklarspitze und waren noch nicht schlüssig, welches Ziel

wir ansteuern werden. Die Entscheidung fiel wenig später, als wir nicht widerstehen konnten, mitten in den riesigen, hindernislosen und unberührten  Hängen,

in bestem Firn in den Talboden des Windachtales ab zu fahren.

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Dort zogen wir zum zweiten Mal die Felle auf und spurten hinauf Richtung westl.Scheiblehnferner.

In perfektem Schigelände kamen wir bald in den Gipfelbereich und bestaunten die schöne Pyramide.

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Während Richard sich heldenhaft der direkten Gipfelflanke

widmete, querte ich selbst hinaus Richtung felsigem Gratbereich, der jedoch beim Näherkommen eine viel gutmütigere Westflanke zeigte, die ich bestieg.

Im recht steilen Gipfelbereich kam Richard aus der Nordflanke daher und gemeinsam stapften wir wenige Schritte zum schönen großen Kreuz hinauf.

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da war gerade noch, alles in Ordnung

 

Wir beschlossen, bald ab zu fahren und weiter unten noch einmal zu rasten. Die ersten Schwünge sollten sicher gesetzt werden und während ich selbst den

ersten davon reindrückte und Richtung Nordflanke fuhr, um die Abfahrtsroute auszuspähen, sah ich, wie Richard  unmittelbar neben mir den ruppigen, steilen

Hang hinunter rutschte. Seine Bindung war beim ersten Schwung aufgegangen! Auffällig war, dass er sich kaum rührte. Ich war fast in einer Schockstarre und unterdrückte das

reflexartige: “alles oK?” – weil es augenscheinlich war, dass etwas nicht stimmte. Ähnlich muss es wohl aussehen, wenn jemand nach einem Sturz bewusstlos

der Schwerkraft ausgesetzt ist. Ich schaute auf Richard und mir fiel auf, dass ein Schi fehlte. Nach einigen Sekunden fuhr ich die 100 Meter zu ihm.

Er konnte sich kaum rühren, atmete heftig und zitterte.

Richard berichtete von starken Schmerzen im Schulterbereich.  Vermutlich heraus aus einer Schockreaktion war sein Bedürfnis, Früchtebrot zu essen und etwas zu trinken. Ich denke,

das ist ein instinktives Verhalten, um bei einer derartigen Gefahrensituation noch einmal Energie aufzunehmen, weil man weiß, dass diese dann abverlangt wird.

Gleich darauf entdeckte ich wenige Meter oberhalb Richards Schi. Der steckte im Schnee, und der Stopper war nicht mal offen. Die Auslösung wurde durch einen

Riegel blockiert, der Stopper konnte seine Funktion gar nicht erfüllen. Nicht auszudenken, wenn bei einem “normalen” Sturz der Schi abhaut, oder gar beide.

Da sich Richards Zustand nicht besserte, entschieden wir, den steilen Hang etwas abzusteigen und einen sicheren Warteplatz zu suchen. Dass wir Hilfe holen müssen,

wurde immer wahrscheinlicher. Ich ging voraus und versuchte, stabile Stapfen zu setzen, um jegliche unnötige ruckartige Bewegungen für Richard zu vermeiden,

weil diese natürlich enorme Schmerzen zur Folge hatten. Am Warteplatz angekommen entschied Richard mit der Ansage: “bitte ruaf in Hubschrauber”. Ich wählte 112  und

landete prompt in Südtirol und es kam mir merkwürdig vor, als der Diensthabende mitteilte, “i muass di weiterverbinden”. Das dauerte dann auch noch, während

eine Ansage um Geduld bat. Endlich meldete sich die erlösende Stimme mit Tiroler Dialekt. Ich wurde abgefragt was passiert ist, wie viele Verletzte zu beklagen sind,

ob wir einen sicheren Standplatz haben und wie die Windverhältnisse sind. Alles beantwortete ich ruhig und sachlich. Dann dauerte es keine 10 Minuten und der

“gelbe Engel” tauchte in der Luft auf. Die sahen uns und drehten wieder ab. Ich ahnte, was kommen würde. Wieder 10 Minuten später tauchte der Hubschrauber ein

zweites Mal auf, am Seil hing der Flugretter, der genau bei uns abgelassen wurde. Während ich immer noch der Meinung war, dass nur Richard geborgen wird, und

ich selbst auf zwei Brettern ins Tal fahren werde, teilte der Retter mir mit, dass dies nicht der Fall sein wird. “i muass enk iats boade mitnemmen”. Ich musste, wie

Richard auch, die “Bergewindel” anziehen und räumte zuvor  unsere Schi und Stöcke in einen mitgebrachten Schisack. Während der Karabiner klickte, raunte ich ein

galgenhumoriges “Danke Richard”. Als nächstes kam der Satz des Retters: “Burschn, iats hoasts Zennt zammmenbeissen” und ein letztes Kommando an Richard ertönte,

wie er seine Füße zu halten habe. Dass dieser Satz von noch Jemandem gehört wurde, erfuhr ich erst später.

Das Seil straffte sich und gleich  waren wir in der Luft. Wir drehten uns. In meinem Kopf ging es extrem wirr zu. Ich sah sofort Bilder

von sich schnell drehenden Geretteten am Seil, eine halbe Ewigkeit lang. Und ich dachte: “ma bärig, der fliegt uns jetzt nach Sölden raus, 5 Minuten lang, drehend”.

Der Flug ging aber quasi nur  “ums Eck”, zum ebenen Landeplatz auf einer Kuppe in der Nähe der Siegerlandhütte, wo die Notärztin auf uns wartete.

Was folgte, spürte

ich wie das typische Bauchgefühl, das man hat, wenn die Gondel bei der Talfahrt schnell über eine Stütze gleitet und gleich nach dem Passieren rasch an Höhe verliert.

Ich dachte noch, “moah, des macht der Kollege aber flott” und  wenige Zehntelsekunden später schlugen wir recht unsanft im Schnee auf. Der Retter und ich erschraken

nur, Richard schrie vor Schmerz auf. Der Hubschrauber hob sich noch einmal und das Zaumzeug bekam noch einmal Zug, bevor er wieder stabil wurde und uns

endgültig abließ. Der Karabiner wurde geöffnet und es war ein echt gutes Gefühl, das sich sofort in mir breit machte. Der Schrauber landete wenige Meter neben uns und

der Pilot erklärte sofort, dass er ein plötzliches Luftloch mit Windbö nicht austarieren konnte und erkundigte sich mehrmals  entschuldigend, ob wohl alles ok sei.

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Das war es – außer bei Richard natürlich. Der bekam aber alsbald Schmerzmittel gespritzt und wurde zum Fluggerät begleitet. Nun bekam ich die Nachricht, dass wir nicht

alle zusammen weg fliegen können, wegen dem zu hohen Gewicht. Nach Abklärung mit der Leitstelle teilte man mir mit, dass MICH  “die Libelle” holen wird, die einen

Einsatz in der Nähe flog. “Du muasch jetzt halt 20-30 Minuten da warten, de holen die dann schunn” – wurde ich verabschiedet und der gelbe Luftikus hob ab und

zog hinaus Richtung Krankenhaus Hall, wo Richard eingeliefert wurde. Dort stellte man eine ausgekugelte Schulter fest, was die Schmerzen natürlich sofort erklärte.

Ich selbst saß nun da, allein, auf meinem Rucksack, der auf die Schi und Stöcke gelegt war, und harrte brav der Dinge. Die Wartezeit war nicht langweilig. Ein Anruf vom

Gendarm aus Sölden wurde abgearbeitet, der von mir die Daten von Richard wollte. Auch MarTina galt es zu beruhigen, mit der hatten wir wenige Minuten vor dem Unglück

vereinbart, dass sie uns um 16.00 Uhr in Sölden abholen soll und sie war bereits vor Ort. Schließlich tauchte “die Libelle” endlich auf, und flog über die Siegerlandhütte hinweg.

Ich wachtelte wie wild mit meinen Stöcken und ich kam mir vor wie der Hauptdarsteller in einem Film in einer Standardrolle. Dann sahen sie mich endlich und landeten genau

dort, wo der gelbe auch schon stand. Was folgte, erinnerte mich an meine Zeit als Taxifahrer: der “Gendi” nahm Schi und Stöcke, ich meinen Rucksack und alles wanderte

zügig in den Transportkorb bei den Kufen. Er öffnete die hintere Tür, bugsierte mich hinein, gab mir den Kopfhörer/Lärmschutz mit integriertem Mikro, und fragte mich in

Taximanier: “wo muaschn Du hin?”. Ich entgegnete, weil ja MarTina unten auf mich wartete: “Sölden Zentrum bitte” und schon waren wir in der Luft.

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Wunschgemäß landeten

wir direkt in Sölden, in einem Feld. Genauso schnell, wie hinein- wurde ich auch wieder hinaus bugsiert und stand, schneller als ich mich Versehen konnte,

beobachtet von einigen Einheimischen rund herum, mit zwei Paar Schi und Stöcken, mitten im Feld im Herz von Sölden. Ich ging, als wenn es das Normalste auf der Welt war, Richtung

Hauptstraße hinaus und telefonierte MarTina an. Die sah den Hubschrauber und ließ sich irreleiten, ihm nach zu fahren, nichts ahnend, dass der mich schon lange ausgespuckt hatte.

Ich wies sie ein und nach wenigen Minuten nahm ich mehr sie, als sie mich, in Empfang. Aufgeregt und gegenseitig sprudelnd erzählten wir uns, was, und wie, wir es erlebt hatten.

Die Krönung war, dass ich versehentlich beim Anlegen des Bergematerials einen Anruf bei MarTina ausgelöst hatte, und sie vom “danke Richard” weg, alles live mithören konnte,

während sie unterwegs nach Sölden war. Sie musste vor lauter Aufregung rechts ran fahren und bekam fast ein “Schlagerl”, als nach der Meldung “Zennt zammbeissn Burschn”

die Quittiermeldung vom Retter an den Piloten kam “zwei Verletzte, Retter und Schi am Seil, bereit zum Abheben”…….

Fazit: unseren Rettern hiermit ein herzliches Danke, dass wir in einem Notfall so schnell Hilfe erlangen können, ist grandios. Richard auf diesem Wege rasche Genesung.

Und, die Abfahrt nach Sölden werden wir nächstes Jahr in Angriff nehmen, aber mit Sicherheit einige Wochen früher…..

Hilli, 3.4.2021

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